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Sechs unverzichtbare Tipps für den erfolgreichen Umgang mit Auszubildenden

Auszubildende für seinen Malerbetrieb zu finden, kann ein herausforderndes und schwieriges Unterfangen sein. Hat der Betrieb junge Menschen für eine Ausbildung gewinnen können, gilt es dann aber auch, diese zu halten. Laut Bundesverband Farbe brechen knapp 40 % der Lehrlinge im Maler- und Lackiererhandwerk ihre Ausbildung vorzeitig ab. Im Umgang mit den jungen Menschen, die gerade erst ins Berufsleben starten, sollten deshalb einige Dinge beachtet werden.

Tipp 1: Gehen Sie einfühlsam auf die Ängste Ihrer Auszubildenden ein!

Gerade während der ersten Tage einer Berufsausbildung müssen Auszubildende oft eine Flut an neuen Informationen verarbeiten. Die Schwelle zwischen Stress und Überforderung wird dabei schnell überschritten. 

Ein Beispiel:

Max hat seine Ausbildung zum Maler und Lackierer in einer Seniorenresidenz begonnen. Dort gibt es rund 550 Appartements, in denen etwa 630 Senioren leben, sowie 170 Mitarbeitende, die den Betrieb aufrechterhalten. Am ersten Arbeitstag trifft Max gemeinsam mit seinem Ausbildungsmeister auf zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die ihm vorgestellt werden. Der Ausbildungsmeister weist Max darauf hin, sich die Namen zu merken, um die Teammitglieder künftig namentlich ansprechen zu können. Allein die Vorstellung, sich 170 Namen einzuprägen, löst bei Max Panik aus. Wie soll er das nur schaffen? Der Ausbildungsmeister bemerkt Max' Besorgnis und beruhigt ihn: „Es ist völlig in Ordnung, wenn du dir nicht sofort alle Namen merken kannst. Ich unterstütze dich dabei, sie nach und nach zu lernen. Frag mich jederzeit, wie jemand heißt. Mit der Zeit wirst du die Namen automatisch kennen.“ Diese Worte nehmen Max die Angst, und er fühlt sich sichtlich erleichtert. Bei den folgenden Begegnungen mit Kolleginnen und Kollegen bestärkt der Ausbildungsmeister das Verhalten seines Auszubildenden, indem er zu ihm sagt: „Bis jetzt hast du alles richtig gemacht.“

Der Umgang mit der Angst von Auszubildenden ist oft geprägt von Vermeidungsverhalten: Man übersieht die Sorgen, macht sie lächerlich oder versucht, sie zu beschwichtigen. Diese Reaktionen entstehen häufig aus der eigenen Unsicherheit, nicht zu wissen, wie man helfen kann. Doch gerade solche Verhaltensweisen bergen die Gefahr, die Ängste der Auszubildenden zu verstärken.

Stattdessen ist es wichtig, sich auf die individuellen Sorgen der Auszubildenden einzulassen und ihre Ängste ernst zu nehmen. Das Verständnis und die Unterstützung helfen ihnen, sich aktiv mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen.

Im Fall von Max haben vier Botschaften die Situation entschärft:

  1. Die Zusicherung, dass Fehler zu Beginn völlig in Ordnung sind.
  2. Das Angebot, den Lernprozess aktiv zu begleiten und Unterstützung zu leisten.
  3. Das Vertrauen, dass der Auszubildende mit der Zeit die Herausforderungen meistern wird.
  4. Die Stabilisierung des angeschlagenen Selbstwertgefühls, indem korrekte Verhaltensweisen bestätigt werden.

Tipp 2: Erläutern Sie Ihren Auszubildenden die Gepflogenheiten des Ausbildungsbetriebes!

Neben der Weitergabe beruflicher Fertigkeiten und Kenntnisse gehört es auch zu den klassischen Aufgaben einer Ausbildungskraft, typische Verhaltensweisen im sozialen Bereich und Verhaltensnormen im Arbeitsleben zu vermitteln. Deshalb führt sie idealerweise zu Beginn einer Ausbildung ein Gespräch mit ihrem Auszubildenden, indem sie ihm unter anderem die betrieblichen „Spielregeln“ erläutert. Manche davon sind schriftlich festgelegt und können jederzeit nachgelesen werden – z. B. die Unfallverhütungsvorschriften –, andere wiederum wird der Auszubildende erst dadurch erfahren, indem er gegen sie unbewusst verstößt, z. B.: 

Max kam eines Morgens nicht zur Arbeit. Sein Meister, der sich das unerwartete Fernbleiben seines Auszubildenden nicht erklären konnte, ging zum Telefon: „Wo bleibst du denn?“, hörte Max seinen Meister am Ende der Telefonleitung fragen. „Oh …“ war die erste, krächzende Reaktion des Auszubildenden. Bei der Menge Restalkohol, die Max vom Vorabend noch intus hatte, war es erstaunlich, dass er überhaupt schon wieder in der Lage war, sich zu äußern. Das kurze Telefonat endete damit, dass Max zulasten seines Urlaubsanspruchs seinen Rausch auskurieren durfte. Am nächsten Tag jedoch folgte ein „Donnerwetter“ in vierfacher Ausführung: Der Geselle war immer noch mürrisch, weil er den vorherigen Tag alleine verbringen musste und niemand da war, mit dem er sich unterhalten konnte. Der Meister war sauer, weil er seine Einsatzplanung über den Haufen werfen musste. Der leitende Hausmeister des Wohnstiftes, der für die Koordination sämtlicher Handwerker verantwortlich war, nahm sich die Zeit, Max zu verdeutlichen, dass sein Verhalten inakzeptabel sei. Und der Direktor des Wohnstifts zitierte Max zu sich, um ihm ins Gewissen zu reden. Nach dieser Zurechtweisung hatte sich das Thema Unpünktlichkeit bzw. Nichterscheinen ein für alle Mal erledigt. 

Man kann diese mehrfache Kritik für unangemessen oder übertrieben halten, aber eins wird deutlich: Keinem der Verantwortlichen war es gleichgültig, ob der Auszubildende da war oder nicht. Und auch aus Max’ Sicht kann festgestellt werden: Der „Spießrutenlauf“ war in dem Moment sicherlich unangenehm, aber gleichzeitig wurde ihm auch gespiegelt, wie bedeutsam er für das Unternehmen war – nicht zuletzt durch die persönliche Unterredung mit dem werten Herrn Direktor. 

Unpünktlichkeit, unkollegiales Verhalten, mangelnde Umgangsformen – wenn diese und andere Verhaltensweisen in einer Berufsausbildung auftreten, dann handelt es sich nicht um unlösbare Ausbildungsprobleme, wie das Beispiel zeigt, sondern um Vorkommnisse, die kennzeichnend für einen normalen Ausbildungsalltag sind. Gerade solche Aktionen, die sich im Nachhinein als Fehltritt erweisen, können für Klarheit sorgen, was ein Auszubildender darf und was er partout unterlassen sollte. Ein Fehlverhalten im Betrieb ist kein Anlass, sich darüber aufzuregen. Gewöhnlich reicht ein Hinweis, um eine angemessene Verhaltensänderung zu bewirken. Schließlich ist auch ein Auszubildender daran interessiert, die Grundregeln des Miteinanders zu kennen, will er sich nicht alle Sympathien verscherzen.

Tipp 3: Geben Sie Ihren Auszubildenden ausreichend Raum, um praktische Erfahrungen zu sammeln!

Stellen Sie sich vor, Ihr Auszubildender kämpft seit geraumer Zeit mit einer Tapetenbahn, die einfach nicht in die verflixte Ecke passen will. Irgendwann können Sie es nicht länger mit ansehen und entscheiden sich, Ihrem Auszubildenden zu helfen.

Doch Vorsicht! Indem Sie ihm die Aufgabe abnehmen, nehmen Sie ihm zwei wertvolle Erfahrungen:

  1. Durchhaltevermögen: Die Möglichkeit, an einer Aufgabe dranzubleiben und nicht aufzugeben, ist entscheidend für die persönliche Entwicklung. Wenn Ihr Auszubildender die Herausforderung selbst meistert, stärkt das sein Durchhaltevermögen und seine Frustrationstoleranz.
  2. Erfolgserlebnis: Wenn es am Ende doch klappt – sei es das Tapezieren der Ecke oder eine andere Aufgabe –, erlebt Ihr Auszubildender einen Erfolg. Dieses positive Gefühl motiviert und bestärkt ihn in seinem Lernprozess.

Im schlimmsten Fall könnte sich Ihr Auszubildender sogar als Versager fühlen, weil er die Ecke nicht tapezieren konnte. Daher ist es wichtig, dass Sie nicht ständig eingreifen, wenn etwas nicht gleich gelingt. Lassen Sie ihn auch mal scheitern. Denn aus Fehlern entstehen wertvolle Lektionen. Ermutigen Sie ihn lieber, es erneut zu versuchen, oder geben Sie ihm maximal einen Tipp, wie es leichter gehen könnte – so hat Ihr Auszubildender am Ende ein Erfolgserlebnis!

Tipp 4: Gehen Sie vorbildlich mit Frust um!

Ein entscheidender Aspekt beim Lernen von Frustrationstoleranz ist Ihre Vorbildwirkung als Ausbildungskraft.

Auszubildende beobachten ihre Ausbildungskräfte genau und ahmen deren Verhaltensweisen nach. Wenn Sie selbst in negativen Situationen ruhig und gelassen bleiben, wird sich Ihr Auszubildender dieses Verhalten bei Ihnen abschauen – ob gewollt oder nicht gewollt, ob bewusst oder unbewusst.

Umgekehrt gilt das noch stärker: Wenn Sie schnell aufbrausend, gereizt oder jähzornig reagieren, wird auch Ihr Auszubildender Schwierigkeiten mit der Impulskontrolle haben.

Das bedeutet jedoch nicht, dass Sie den ganzen Tag lächeln müssen, obwohl Sie innerlich frustriert sind. Nutzen Sie Ihren eigenen Frust vielmehr als Gelegenheit, Ihrem Auszubildenden etwas beizubringen – indem Sie darüber sprechen! Hier ein Beispiel:

„Oh nein, jetzt ist mir die Tapetenbahn schon wieder gerissen! Verflixt noch mal, das ärgert mich so. Ich würde den Eimer Kleister vor Wut am liebsten gegen die Wand schleudern. Puh. Ich gehe lieber kurz auf die Terrasse und atme ein paar Mal tief durch…“

So lernt Ihr Auszubildender, dass Gefühle wie Ärger oder Wut ganz normal sind und wie man damit umgehen kann. Indem Sie offen über Ihre eigenen Emotionen sprechen, vermitteln Sie ihm wichtige Lektionen für den Umgang mit Frustration.

Tipp 5: Stehen Sie zu Ihren Fehlern!

Nach dem wöchentlichen Berufsschulbesuch kehrt ein Auszubildender voller Stolz zurück – endlich weiß er, wie man das Aufmaß eines Türrahmens korrekt vornimmt. Sein erfahrener Ausbildungsmeister, überzeugt davon, alles zu wissen und zu können, fordert ihn auf, sein Wissen zu demonstrieren. Doch nach der Präsentation urteilt er knapp: „Das ist falsch!“

Der Auszubildende, fest von seiner Vorgehensweise überzeugt, verteidigt mutig seine Ansicht. Die Stimmung ist angespannt, als der Meister in sein Büro verschwindet. Doch wenig später tritt er zurück und gesteht seinen Irrtum ein – es tue ihm leid.

Fehler zu machen ist menschlich – sowohl für Auszubildende als auch für Ausbildungskräfte. Wer sich stets bewusst ist, dass auch der Auszubildende recht haben könnte, vermeidet vorschnelle Fehlurteile. Und wer als Ausbildungskraft die Courage besitzt, eigene Irrtümer zu erkennen und offen einzugestehen, handelt vorbildlich.

Tipp 6: Stimmen Sie das methodische Vorgehen auf das Lernverhalten des Auszubildenden ab!

Malermeister G. nutzt das Streichen der Zimmerwände, um seinem Auszubildenden den Fachbegriff „Viskosität“ verständlich zu machen. Dazu öffnet er einen Farbeimer und zeigt auf die darin enthaltene Farbe, die in ihrem aktuellen Zustand nicht verarbeitet werden kann – sie ist noch zu dickflüssig. Mit anderen Worten: Die Farbe hat eine hohe Viskosität, also Zähflüssigkeit.

Die Viskosität bestimmt das Fließverhalten einer Substanz. Wasser ist z. B. niedrig-viskos, Honig dagegen hoch-viskos. Da die Farbe im Eimer eher dem Fließverhalten von dickflüssigem Honig ähnelt, wäre das Auftragen mühsam, und das Beschichtungsergebnis entsprechend ungleichmäßig – der Wandanstrich könnte klumpig wirken.

Nach diesen Erläuterungen blickt der Malermeister seinen Auszubildenden an, um zu prüfen, ob die Erklärung verständlich war. Doch dessen Gesichtsausdruck signalisiert: „Ich verstehe nur Bahnhof!“

Diese Reaktion bedeutet nicht, dass die Erklärung des Malermeisters falsch war – sie passt lediglich nicht zur bevorzugten Art der Informationsaufnahme des Auszubildenden. Dies zu erkennen, führt meist schneller zu einer Lösung, als an der Vorstellung eines idealen Lehr-Lernprozesses festzuhalten, in dem die Ausbildungskraft erklärt und der Auszubildende sofort alles versteht.

Flexibilität und Offenheit zeigen sich darin, dass Malermeister G. eine Holzleiste nimmt, die Farbe umrührt und sie dann herauszieht, um die Fließfähigkeit der Farbe zu demonstrieren. Doch die Farbe bleibt am Rührholz haften – sie ist noch zu zähflüssig. Diese Zähflüssigkeit und ihr Fließverhalten werden als Viskosität bezeichnet.

Nun fordert der Malermeister seinen Auszubildenden auf, die Farbe schrittweise mit Wasser zu mischen. Das richtige Mischverhältnis – die optimale Verarbeitungsviskosität – ist erreicht, wenn die Farbe leicht und gleichmäßig nach unten fließt. Um dies zu überprüfen, soll der Auszubildende das Rührholz immer wieder aus dem Eimer ziehen und das Fließverhalten der Farbe beobachten.

Fazit

Eine gelungene Ausbildung beinhaltet Empathie, klare Regeln und Raum zur Entfaltung. Wer Ängste ernst nimmt, Fehlverhalten nicht dramatisiert, sondern als Lernchance nutzt, stärkt das Vertrauen und die Motivation der Auszubildenden. Wichtig ist auch, dass Ausbilder Vorbilder im Umgang mit Frust und eigenen Fehlern sind. Lernen gelingt zudem besser, wenn die Vermittlung methodisch flexibel auf den individuellen Lernstil abgestimmt wird. So entsteht ein Umfeld, in dem Auszubildende wachsen können – fachlich und persönlich.

Autor: Michael Kluge ist nicht nur Sozialpädagoge, sondern auch gelernter Maler und Lackierer. Seine duale Ausbildung unter einem vorbildlichen Ausbildungsmeister hat ihn tief geprägt. Heute gibt er als Ausbilder-Coach wertvolle Tipps weiter und teilt seine besten Ratschläge für den Umgang mit Auszubildenden.
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